Die Grünen bestimmen schon lange die gesellschaftlichen Diskussionen in Deutschland. Je mehr sich die anderen Parteien an sie angebiedert haben, desto stärker sind sie geworden: Die Menschen wählen jetzt das Original, nicht mehr die Kopien.
„Bei vielen Fragen ist es heute schon so, dass die Grünen die Richtung vorgeben, dann die SPD nachzieht und schließlich die Union mit einem deutlichen Verzögerungseffekt nachhinkt… Die Einwirkungen der grünen Partei gehen weit über ihre Beteiligung an Landesregierungen und die in Wahlen dokumentierten Erfolge hinaus. Entscheidender ist, dass es den Grünen immer wieder gelang, politische Themen zu besetzen und die Meinungsführerschaft in der öffentlichen Diskussion zu übernehmen. Dies konnte jedoch nur geschehen, weil sie überdurchschnittlich viele Sympathisanten in den Medien hatten und haben und weil die Reihen ihrer natürlichen Widersacher, also parteipolitisch gesehen die CDU, bereits innerlich aufgeweicht waren und maßgebende Politiker der Union entscheidende Positionen der Grünen schon übernommen hatten.“
Diese Sätze habe ich nicht vor einem oder vor zwei Jahren geschrieben, sondern vor 24 Jahren (!), in meinem 1995 erschienenen Buch „Wohin treibt unsere Republik?“ In diesem Buch hatte ich versucht, längerfristige Entwicklungslinien für die politische Entwicklung der Bundesrepublik vorherzusagen. Der Befund aus dem Jahr 1995 zeigt, dass die Entwicklung, die gestern zu dem Ergebnis von 20,7 Prozent für die Grünen geführt hat, Folge einer langen Entwicklung ist. Freilich erfolgte diese Entwicklung nicht geradlinig – zwischendurch waren die Grünen manchmal so schwach, dass manche schon ihren Untergang vorhersagten.
Die Menschen wählen das Original und nicht die Kopie
Nach den Wahlen werden wir sehen, dass SPD und CDU/CSU uns erklären werden, sie müssten sich nun noch stärker für den Klimaschutz einsetzen. Dies sei die Lehre aus dem Ergebnis der Europawahl. Das ist natürlich absurd: Jemand, der den falschen Weg geht, meint, er müsse ihn nun noch schneller gehen, um ans Ziel zu gelangen.
Union und SPD haben doch schon seit Jahren das grüne Programm umgesetzt: Abschalten der Kernkraftwerke, Kohleausstieg, Umformung der Energiewirtschaft in eine Planwirtschaft usw. Jüngst haben sie begonnen, auch die Automobilwirtschaft planwirtschaftlich umzugestalten – mit sogenannten „Flottenzielen“ wird EU-weit vorgeschrieben, welche Autos produziert werden dürfen und welche nicht. Die Strategie der Anpassung an die Grünen und der Übernahme ihrer Themen hat jedoch langfristig nicht zur Schwächung, sondern zur Stärkung der Grünen geführt: Die Menschen wählen lieber das Original, statt die Kopie.
Never enough
Die Logik der Grünen ist jedoch: „Never enough“. Schaltet man die Kernkraftwerke ab, werden die Kohlekraftwerke zum Thema. Wie bei einer Weltuntergangssekte wird der bald bevorstehende Weltuntergang propagiert. Und wenn es sonst immer heißt, „Angst ist kein guter Ratgeber in der Politik“ (eine Standardformel in der Zuwanderungsdebatte), so wird „Panik“ vor dem Weltuntergang nun zur alles bestimmenden Emotion. Es ist wie bei der „sozialen Gerechtigkeit“, die die Grünen übrigens inzwischen auch als Thema belegt haben: Egal, was getan wird, es ist nie genug und es muss immer noch mehr sein, noch radikaler.
Die klassischen Medien, besonders das Fernsehen, sind schon längst in grüner Hand, wie wir aus Befragungen über die Parteiaffinität von Journalisten wissen. Inzwischen gelingt es den Grünen jedoch auch, die neuen Medien geschickt zu nutzen, wie zuletzt das Video von Rezo und die Initiative von 70 Youtubern zeigte.
Die Selbstzerstörung der Wirtschaft
Die gesellschaftlichen Institutionen werden längst von Sympathisanten der Grünen dominiert – vor allem die Medien und das Bildungswesen, aber auch die Kirchen. Dass 36 Prozent der Erstwähler inzwischen Grüne wählen (und in dieser Wählergruppe die CDU nur noch zwei Prozentpunkte vor der linken Satire-PARTEI liegt), ist auch eine Folge der Tatsache, dass in den Schulen grüne Glaubensbekenntnisse als Gewissheiten moderner Bildung propagiert werden.
Das alles funktioniert aber nur, weil die Wirtschaft opportunistisch ist und dem grünen Zeitgeist nichts entgegensetzt. Die deutsche Wirtschaft passt sich opportunistisch an, wie sie das schon immer getan hat. Ich erinnere mich noch, wie sich Daimler-Chef Dieter Zetsche als Grüner verkleidete und sich auf deren Parteitag anbiederte. VW-Chef Herbert Diess erklärt, wie er VW zu einem grünen Unternehmen umgestalten will.
In den Vereinigten Staaten gab und gibt es unter erfolgreichen Unternehmern überzeugte Marktwirtschaftler, die der auch in den USA erfolgten Linksentwicklung in Universitäten und Medien etwas entgegensetzen, besonders mit libertären und konservativen Thinktanks. In Deutschland ist davon kaum etwas vorhanden: Schaut man etwa auf Themen und Programm der liberalen Friedrich Naumann Stiftung, sieht man, dass der herrschenden Ideologie nichts Attraktives entgegengesetzt wird.
Die Linksentwicklung beginnt stets im geistigen Bereich, und wenn man sie umkehren will – wozu es einen langen Atem brauchen wird -, dann ist das auch nur möglich, wenn der grünen Ideologie etwas entgegengesetzt wird. Das Bewusstsein dafür, was Marktwirtschaft/Kapitalismus ist und sein sollte, ist in Deutschland inzwischen fast vollständig verloren gegangen.
Weckruf?
Die Grünen sind letztlich nur eine spezifische Form, in der sich der Antikapitalismus artikuliert. Die Weltuntergangspanik wird zum Vorwand dafür, die Wirtschaft planwirtschaftlich umzugestalten. Das wird natürlich zu schwersten wirtschaftlichen Verwerfungen führen – zu Massenarbeitslosigkeit und ökonomischem Niedergang. Und wenn diese Folgen eintreten, werden uns die Antikapitalisten erklären, all dies sei eine Folge „ungezügelter Märkte“ und jetzt gelte es, den Kapitalismus endgültig zu überwinden, um „soziale Ungerechtigkeit“ und „Klimakatastrophe“ zugleich abzuwenden. Ich hoffe, ich behalte mit diesen düsteren Prophezeiungen – anders als mit meinen eingangs zitierten Sätzen aus dem Jahre 1995 – Unrecht und die verbliebenen vernünftigen Unternehmer verstehen das 20,7%-Ergebnis der Grünen als Weckruf.