Friedrich Merz, der im Wahlkampf viele Fehler machte, hat gestern eine klar marktwirtschaftliche Rede gehalten. Tosenden Applaus erhielt er, als er eine „Agenda für die Fleißigen“ proklamierte und erklärte, er wolle eine Politik für jene Menschen machen, die nicht zuerst nach dem Staat rufen, sondern die an die Politik nur eine Bitte hätten: „Lasst uns in Ruhe arbeiten.“
Als ich die Rede hörte, dachte ich bei diesem Satz spontan an Ronald Reagans bekanntes Wort: „Die zehn furchterregendsten Wörter der englischen Sprache sind: ‚Hi, ich komme von der Regierung, um Ihnen zu helfen!‘ Die Neue Zürcher Zeitung kommentierte: „Friedrich Merz wird wohl genauso rasch wieder von der politischen Bühne verschwinden, wie er vor wenigen Wochen dorthin zurückgekehrt war. Aber die Tatsache, dass fast jeder zweite CDU-Delegierte davon geträumt hat, dass dieser kantige Wirtschaftsliberale an die Spitze rückt – und das trotz seinem holprigen Wahlkampf -, zeugt von einer ernstzunehmenden Sehnsucht. Ein großer Teil der Partei wünscht sich eine Führung, die in Wirtschaftsfragen wieder liberal und in Sicherheitsfragen wehrhaft ist.“
Merz hat im Wahlkampf viele Fehler gemacht: Er hat sich bei den Grünen angebiedert und diese als sehr liberale Partei bezeichnet, was natürlich Unsinn ist. Und statt sich stolz dazu zu bekennen, dass er im Berufsleben finanziell erfolgreich ist, hat er den Eindruck erweckt, als müsse man sich dafür schämen, Millionär zu sein. Das zeugte von Unsicherheit – und Unsicherheit wird im politischen Leben niemals goutiert.
Aber gestern war davon wenig zu spüren: Merz hat eine kämpferische Rede gehalten. Für Marktwirtschaft. Für den Nationalstaat. Gegen die Grünen. Die Wahl hat gezeigt: In der CDU, die unter Merkel als zu 100% vergrünte und sozialdemokratisierte Partei erschien, gibt es viele, denen diese Entwicklung ganz und gar nicht passt. In der Merkel-Zeit, als Opportunisten wie Peter Altmaier und unfähige Merkel-Schönredner wie Ursula von der Leyen die Szene beherrschten, war dieser Teil der Union überhaupt nicht mehr wahrnehmbar. Aber der Parteitag hat gezeigt: Es gibt sie nach wie vor. Gestern hat Merz knapp verloren. Und man muss befürchten, dass er nicht an Bord bleibt und in der CDU nicht weiter für seine Positionen kämpft. Das wäre schade. Denn schon eines kann man jetzt vorhersagen: AKK wird zusammen mit der Kanzlerin Merkel die Union weiter an die Wand fahren. Sie wird zwar versuchen, den starken Merz-Spahn-Flügel einzubinden, aber sie selbst steht für die Fortsetzung des Merkel-Kurses. Die linke taz titelt richtig: „Merkels letzter Sieg“.
Werden AfD und FDP profitieren?
Profitieren könnten von Kramp-Karrenbauers Sieg AfD und FDP. Gestern haben die Sektkorken bei der AfD geknallt, weil die Wahl von AKK das Beste für sie ist. Aber wie stark sie davon profitieren kann, wird davon abhängen, ob die AfD endlich deutlich gegen die zahlreichen Extremisten in ihren Reihen vorgeht oder ob sie zunehmend auf einen antimarktwirtschaftlichen Sozialpatriotismus à la Höcke setzt. Im nächsten Jahr stehen Wahlen in den neuen Bundesländern an, und da ist die AfD mit dem sozialpatriotischen Kurs erfolgreich, weil sie das antikapitalistische Wählerpotenzial anspricht, das früher allein die LINKE bedient hat.
Für die FDP könnte die Wahl von AKK eine Chance sein, wenn sie sich noch deutlicher positioniert. Zu wünschen wäre, dass Politiker wie Oliver Luksic, der furchtlos und kämpferisch freiheitliche Positionen vertritt und die Grünen in aller Schärfe attackiert, eine stärkere Rolle spielen. Wenn Lindner politisch klug ist, wird er alles dafür tun, dass Personen wie Luksic und nicht wie Lambsdorff das Erscheinungsbild der FDP maßgeblich bestimmen. Für die FDP sollte die Tatsache, dass sich etwa die Hälfte der Delegierten für Merz und Spahn ausgesprochen hat, ein Zeichen sein. Bisher hat sie viel zu wenig von der Schwäche der Union profitiert, weil sie viele Themen der AfD überlassen hat.
Und die Union?
Es war klar, dass die Sozialdemokratisierung und Vergrünung der Union nicht mit einem Paukenschlag zurückgedreht werden kann. Denn dieser Prozess begann schon vor langer Zeit, lange vor Merkel. Schon 1994 (!) widmete ich ein ganzes Kapitel meines Buches „Wohin treibt unsere Republik?“ der Kritik an der „Sozialdemokratisierung der CDU“. Ich schrieb in diesem Buch, mit dem Begriff der „Modernisierung“ der CDU sei nichts anderes gemeint, „als die Anpassung an den von 1968 geprägten Zeitgeist“: „Bei vielen Fragen“, so schrieb ich 1994, „ist es heute schon so, dass die Grünen die Richtung vorgeben, dann die SPD nachzieht und schließlich die Union mit einem deutlichen Verzögerungseffekt nachhinkt.“ Dieser Prozess der Vergrünung und Sozialdemokratisierung der Union dauert nun also bereits seit über 25 Jahren. Wer dachte, dass dieser Prozess in wenigen Wochen revidiert werden könnte, hat nicht verstanden, wie lang und wie tief diese Entwicklung ging. Aber die Wahl gestern hat gezeigt, dass immerhin etwa die Hälfte der Union nicht einverstanden ist mit dieser Entwicklung. Wer wird diese Hälfte anführen, wenn Merz diese Aufgabe nicht übernimmt? AKK wird angesichts der auf dem Parteitag sichtbaren Stärke von Marktwirtschaftlern und Konservativen in der Union Politikern des marktwirtschaftlichen und konservativen Flügels eine Chance geben müssen, sich zu profilieren. Vielleicht kristallisieren sich in den kommenden Jahren Personen in der Union heraus, an die wir jetzt noch gar nicht denken. Oder Merz bleibt doch in Lauerstellung und übernimmt die Partei, wenn Merkel und AKK sie weiter heruntergewirtschaftet haben.
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